Force Majeure: Pflicht, zwecks Umgehung von Sanktionen andere als die vertraglich vereinbarten Währungen zu akzeptieren?
Die „höhere Gewalt“ – in unseren Zeiten muss dieses Rechtsinstrument leider häufig bemüht werden. Lieferkettenprobleme, Sanktionen, Krieg. Allerdings liegt höhere Gewalt nur vor, wenn sie die weitere Durchführung des Vertrages verunmöglicht. Dies verlangt den Vertragspartnern Anstrengungen ab, die Hürden zu überwinden, bevor sie sich vorschnell auf höhere Gewalt berufen können.
Eine interessante Entscheidung traf der England and Wales Court of Appeal in seiner Entscheidung vom 27. Oktober 2022, Aktenzeichen [2022] EWCA Civ 1406.
Der Schiffseigner MUR Shipping und der Charterer RTI Ltd. schlossen 2016 einen Vertrag über den monatlichen Transport von Bauxit-Schiffsladungen von Guinea in die Ukraine. Die Zahlung sollte in US-Dollar erfolgen. Die russische Muttergesellschaft der RTI war von 2018 erlassenen US-Sanktionen betroffen. RTI selbst, als in den Niederlanden registriertes Unternehmen, jedoch nicht. Allerdings war nach den Feststellungen des zur Entscheidung berufenen Schiedsgerichts die Zahlung in US-Dollar wegen der sanktionsbedingten Prüfpflichten der US-Banken mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet. RTI bot deswegen die künftige Zahlung in Euro an, was MUR aber ablehnte.
Das Schiedsgericht befand, dass MUR verpflichtet gewesen wäre, das Angebot der RTI anzunehmen und verneinte das Vorliegen höherer Gewalt, da das Hindernis auf zumutbare Weise hätte umgangen werden können.
Vor dem High Court verlangte MUR die Aufhebung dieses Schiedsurteils und berief sich darauf, nicht verpflichtet zu sein, eine von den Vertragsklauseln abweichende Vertragsdurchführung akzeptieren zu müssen. Dies sei unzumutbar, sodass höhere Gewalt zu bejahen sei. Der High Court trat dieser Meinung bei.
Anders sah dies nun der Court of Appeal. Die Zahlung in Euro sei zumutbar. Der bisherige Grundsatz, dass eine Vertragsdurchführung in Abänderung der vertraglichen Grundlagen unzumutbar sei, bekommt durch diese Entscheidung Risse. Massgeblich ist also stets eine Betrachtung im Einzelfall.
Ob sich diese Sicht der Dinge durchzusetzen vermag, bleibt abzuwarten. Immerhin erging die Entscheidung nicht einheitlich; Lordrichter Arnold vertrat die Gegenmeinung, wurde aber von seinen Kollegen überstimmt.
Jedenfalls zeigt dieser Fall erneut, dass bei Berufung auf höhere Gewalt Vorsicht anzuraten ist.
Die Entscheidung im Volltext kann über folgenden Link gefunden werden: https://www.bailii.org/ew/cases/EWCA/Civ/2022/1406.html
Comments